Meine wahre Weinreise auf Sardinien – Zwischen Reben, Menschen & Mut zur Kante

Es war in der Ogliastra, irgendwo zwischen Felsen und wilden Feigen. Kein Sommelier, kein Dekanter, nicht mal ein richtiges Glas. Nur ein netter Eselhirte, ein Kunststoffbecher und ein leicht gekühlter, tiefroter Wein. Mein erster Cannonau-Moment. Und plötzlich war klar: Sardinien schmeckt anders. Nicht glatt, nicht gefällig, sondern erdig, wild und mit Nachhall.
Genau deshalb nehme ich dich mit auf meine Weinreise über die Insel – von der salzigen Frische des Vermentino in der Gallura bis zum tiefgründigen Cannonau im Landesinneren. Mit dabei: Persönliche Begegnungen, ehrliche Bewertungen, überraschende Aromen und ein paar unbequeme Wahrheiten. Kein klassischer Guide, sondern ein Blick ins Glas und ins Herz der Insel.
Die Rebsorten Sardiniens – Zwischen rauem Charakter und feinem Spiel
Cannonau – Kein Everybody’s Darling
Cannonau ist Sardinien im Glas: rau, würzig, sonnengetränkt. Kein charmanter Plauderwein, sondern einer, der Raum braucht. In Mamoiada fast heilig, in Jerzu oft rustikaler, in Dorgali eleganter, aber immer mit Charakter. Was viele nicht wissen: Cannonau zählt zu den polyphenolreichsten Rotweinen der Welt. Und genau deshalb wird er auch mit der Langlebigkeit der sardischen „Blue Zones“ in Verbindung gebracht. Mehr über Cannonau erfährst du in meinem Beitrag zum Roten Gold Sardiniens.
Vermentino – Sardische frische mit Meersalz
Vermentino ist der Aperitif unter den Rebsorten: leichtfüßig, frisch, zitronig und in der Gallura oft mit dieser salzigen Note, die sofort ans Meer erinnert. Wenn er gut gemacht ist, klingt er nach Sonnenuntergang auf der Terrasse. Aber: Nicht jeder Vermentino ist ein Erlebnis. Viele sind technisch korrekt, aber austauschbar. Nur wenige schaffen es, die Böden und den Wind wirklich ins Glas zu bringen. Wer das sucht, muss genauer hinsehen und manchmal auch abseits der bekannten Labels probieren.
Carignano – Tiefgang aus dem Süden
Carignano del Sulcis ist dunkel, dicht und manchmal fast salzig. Gewachsen auf sandigen Böden im Südwesten, oft von wurzelechten Reben ist er ein echter Charakterwein mit wenig Glamour, aber viel Substanz. Wenn er gut gemacht ist, kommt er leise und bleibt lange. Besonders spannend in Cuvées, aber auch pur ein Erlebnis.
Semidano, Bovale, Monica & Vernaccia – Die leisen Verführer
Neben den großen Namen gibt es Rebsorten, die oft übersehen werden und dabei erzählen sie so spannende Geschichten. Bovale Sardo bringt Struktur und Würze, besonders im Mandrolisai. Monica wirkt leichter, manchmal fast zu brav, hat aber in guten Händen eine überraschende Eleganz. Semidano, fast vergessen, zeigt sich aromatisch und frisch. Und dann ist da noch Vernaccia di Oristano: Oxidativ ausgebaut, nussig, fast sherryartig. Er ist nichts für zwischendurch, aber perfekt für lange Gespräche. Eine echte Spezialität mit Kultstatus.
Meine Reise durch Sardiniens Weingefühl – 5 Stationen, 5 Realitäten
Gallura – Wo der Vermentino vom Meer geküsst wird
Der Wind roch nach Salz und blies durch die Reben, als wollte er persönlich erklären, warum der Vermentino hier anders schmeckt. Die Gallura ist granithart, lichtdurchflutet und genau das schmeckt man im Glas: Böden, Wind, Sonne.
Bei meinem ersten Stopp in der Region lande ich bei Cantina Piero Mancini, ein alteingesessener Familienbetrieb nähe Olbia. Alles wirkt gepflegt, fast zu glatt. Der Vermentino? Klar, sauber, fruchtig: Pfirsichhaut, etwas Salbei, ein Hauch Meer. Guter Stoff, aber mir fehlte das Ungezähmte. Erst ein paar Kilometer weiter, bei einer kleinen Cantina bei Monti, passierte das, was mich wachrüttelte: Ein unfiltrierter Vermentino, spontanvergoren, mit Ecken, Kanten und einer salzigen Mineralität, die noch lange nachhallte. Der Winzer dort sagte nur: „Die Gallura muss man fühlen.“ Und plötzlich verstand ich, was er meinte.
Aber nicht alles, was hier das DOCG-Siegel trägt, berührt auch im Glas. Namen wie Sella & Mosca klingen groß und sind es auch: Viel Geschichte, viel Fläche, viel Marketing. Die Weine sind solide, oft elegant, aber selten überraschend. Für mich fehlt da manchmal die Handschrift, die Ecken, das Unperfekte. Also das, was ein Wein nicht nur schmecken, sondern bleiben lässt.
Sulcis – Alte Reben im Sand
Im Südwesten wird der Wein stiller. Weniger Show, mehr Substanz. Der Carignano del Sulcis wächst hier auf Sandböden, teils wurzelecht, direkt am Meer. Es ist ein Wein mit Tiefgang, der nicht laut sein muss, um hängen zu bleiben.
Bei Agricola Punica, unweit von Santadi, probierte ich einen Montessu (ein Cuvée mit 60% Carignano), der mich sofort hatte: dunkle Beeren, Salz, ein Hauch Teer. Kein Schnickschnack, nur Dichte und Charakter. Ganz anders ist der Auftritt bei Cantina Mesa: Eher modern, elegant, fast schon wie eine Designgalerie für Wein. Der Carignano hier? Rund, weich, und mit viel mediterraner Wärme. Ein Wein, der mir sehr gut gefällt. Mesa versteht es, Wein in Szene zu setzen, stilvoll und marketingstark. Für Instagram top und für den Abend auf der Terrasse genauso.
Gergei – Der Blick auf das Wesentliche
In Gergei wird Wein nicht produziert, sondern begleitet. Die Reben stehen hier nicht nur auf warmem Kalkstein, sie wachsen zwischen Kräutern und unter der Sonne. Hier herrscht ein Weinverständnis, das auf ehrliche Böden und auf Herkunft statt Hochglanz setzt.
Bei der Cantina Olianas ist alles anders – biodynamisch, echt, fast meditativ. Die Reben wachsen inmitten wilder Kräuter, der Ausbau erfolgt teilweise in Amphoren. Und der Cannonau? Ungefiltert, warm, würzig – mit Tiefe, aber ohne Drama. Ein Wein, der nicht beeindrucken will, sondern bleiben.
Was mir gefiel: Keine große Show, kein übertriebener Naturwein-Hype. Sondern Menschen, die ihre Arbeit ernst nehmen, aber nicht sich selbst. Wer in Gergei unterwegs ist, sollte sich Zeit nehmen für die Tour über das Weingut, die guten Gespräche und die anschließende Verkostung!

Mamoiada – Cannonau mit Charakter
In Mamoiada ist Wein kein Produkt, sondern Familiengeschichte. Über 30 Winzer auf knapp 3.000 Einwohner. Hier wächst Cannonau nicht nur im Boden, sondern auch im Blut. Ich war bei Giuseppe Sedilesu, einem der bekanntesten Produzenten im Ort. Der Cannonau? Tief, würzig, fordernd. Kein einfacher Wein, sondern eher einer, der nach Aufmerksamkeit verlangt. Und genau das mochte ich.
Aber nicht alles in Mamoiada ist Magie. Manche Weine sind überambitioniert, manche überschätzt. Aber wenn du den richtigen triffst, spürst du, was Wein hier bedeutet: Stolz, Geduld, Identität.
Mandrolisai – Wo Cuvées Geschichte erzählen
Mandrolisai ist kein Ort, sondern ein Versprechen. Es gibt komplexe Cuvées aus Cannonau, Bovale und Monica – kraftvoll, kantig, mit Tiefe. Hier wird nicht sortenrein gedacht, sondern komponiert.
Ich war bei Fradiles in Atzara. Drei Fässer, kein Marketing, nur Wein. Der Duft nach Pfeffer, Leder, Waldboden und dann dieser lange, warme Nachklang. Kein Wein für den schnellen Schluck, sondern für langsame Abende. Mandrolisai ist oft unterschätzt, vielleicht weil’s schwer einzuordnen ist. Für mich war es das perfekte Finale: geerdet, ehrlich, überraschend komplex.

Wein erleben – Feste, Märkte & Begegnungen
Wein auf Sardinien ist kein Programmpunkt, er passiert einfach. Auf Festen, in Kellern, auf Märkten, meist ungeplant.
- Autunno in Barbagia: Dorfkeller, offenes Feuer, Cannonau im Becher und ein Winzer, der mehr erzählt, als auf jedem Etikett steht.
- Benvenuto Vermentino: Weißwein, Musik, gute Stimmung und manchmal fast zu glatt, aber ein schöner Einstieg in Sardiniens Weinwelt.
- Cantine Aperte: Geöffnete Weingüter im ganzen Land – nicht jedes ein Erlebnis, aber wer gezielt wählt, wird belohnt.
- Wochenmärkte: In Tortolì, Isili oder Ozieri entdeckst du Winzer mit wenigen Flaschen, aber mit viel Haltung und oft mit dem besten Schluck des Tages.
Checkliste für deine Weinreise auf Sardinien
Besuch ein Weingut mit Seele: Klein statt groß, Gespräch statt Show. Am besten mit Voranmeldung, denn viele Winzer nehmen sich gerne Zeit. Schaue lieber auf den Webseiten der Weingüter direkt und buche nicht über große Anbieter (hier kann es schnell teuer und unpersönlich werden)
Neugier statt Weinkenntnis: Du musst kein Sommelier sein. Offene Sinne reichen völlig. Ein paar italienische oder sardische Wörter lernen hilft ebenso für echte Gespräche.
Trinkflasche + Wasser: Verkostung ist kein Saufgelage. Und Hitze + Alkohol = keine gute Kombi. Denke ebenso an Snacks, denn viele Weingüter bieten kein Essen, dafür gute Aussicht.
Notizbuch oder App: Für deine eigenen Wein-Entdeckungen und Erinnerungen. Meine Lieblings-App für Wein ist übrigens Vivino (hier kannst du ganz einfach Etiketten abfotografieren und hast direkt alle Infos zum Wein). Hier kostenlos bei Google Play oder im Apple Store downloaden.
Erlebe den Wein drumherum: Marktbesuch, Dorffest, Sonnenuntergang mit einem Glas. Wein ist auf Sardinien kein Event, sondern Teil des Alltags.
Platz im Gepäck: Für 1–2 Flaschen, die du nicht im Supermarkt findest. Du wirst es nicht bereuen.

Sardinien im Glas – Und du mittendrin
Was ich auf dieser Reise gelernt habe? Sardischer Wein will nicht gefallen, er will echt sein. Er kommt nicht laut daher, aber bleibt lange. Manchmal eckt er an, manchmal überrascht er. Und genau deshalb liebe ich ihn. Wer Sardinien verstehen will, sollte es trinken. Mit Zeit, mit Menschen und mit offenem Blick für das, was zwischen den Reben passiert.
Und du? Welcher sardische Wein hat dich überrascht – im Guten oder im Schlechten? Schreib’s unten in die Kommentare oder verrate mir dein Lieblingsweingut. Vielleicht kommt es in die nächste Tour.
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